Lichtkunst. Einmal ganz ohne Beleuchtungsdramaturgie
Ursula Ott setzt sich in ihrer Arbeit mit dem Licht auseinander, und damit, wie wir sehen. Wie wir Farben und damit auch unsere Welt visuell wahrnehmen. Unabdingbar dafür ist das Licht. Denn was wir sehen, wenn wir Farben sehen, ist das Licht, das von der Oberfläche der Dinge reflektiert wird. Genau genommen, immer nur derjenige Teil des Spektrums aus dem sichtbaren Licht, das von allem, was wir in unserer Welt sehen, reflektiert wird. Während wiederum andere Bereiche des Lichtspektrums absorbiert werden. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass die Farbe, die wir an einem Objekt sehen, eben die Farbe ist, die es gerade nicht hat, weil gerade die wegreflektiert wird.
Ob Farben tatsächlich physisch existieren, oder nur ein Konstrukt in unserem Gehirn sind, wird von Physikern, Neurowissenschaftlern, Biologen, Philosophen oder Künstlern intensiv erforscht und diskutiert. Ebenso wie das Wesen des Lichts. Die Optik füllt Bücher und entflammt immer noch hitzige, teils metaphysische Debatten. Und das schon seit dem 17. Jahrhundert, mit Isaac Newton, Johannes Kepler und René Descartes. Kurzum, all das soll hier auch gar nicht vertieft werden. Aber wir halten fest: Licht und Farbe sind ein ebenso wunderbares, wie rätselhaftes Phänomen. Die geheimnisvolle Magie von Licht und Farbe lässt sich in den Objekten von Ursula Ott erleben. Eine besondere Lichtkunst, die tatsächlich ohne Spots und ohne LEDs, ohne Scheinwerfer und dramatische Inszenierung auskommt.
Milchig weiß, blass orange, blaugrau, golden oder wie flüssiges Blei. Die flachen gläsernen Objekte von Ursula Ott lassen sich in ihrer Farbigkeit nicht eindeutig beschreiben. Sie verändern sich kontinuierlich mit dem wechselnden Licht der Umgebung, einige wirken dabei opak oder gar transparent, andere changieren in milchigen Farben, oder aber sie flimmern, glitzern und schillern, bisweilen hell wie klares Wasser im Sonnenlicht oder seltsam ölig, wie flüssiges Metall.
Eingefrorene Zeit
Die Arbeiten der Künstlerin sind mir im November 2019 zum allerersten Mal auf der Art Düsseldorf aufgefallen. Eine einzelne kreisrunde Scheibe an der Wand, ganz für sich. Als ein ganz besonderer, eigentümlicher Ruhepol. In all‘ dem Trubel und Lärm, und bei allem, was „Messebesuch“ und „Kunstgenuss“ so wenig miteinander vereinbar macht, war ich ganz unversehens tief berührt. Von der konzentrierten Energie und gebündelten Kraft einer einzelnen Arbeit. Eine große schimmernde Scheibe. Schimmernd, gleißend. Ein stiller Moment. Als sei ich inmitten der Zeit eingefroren, und die Welt strudelt um mich herum. „Bullet Time“, sozusagen, wie in dem filmischen Meisterwerk „Matrix“. Wie eine Kamerafahrt in einer scheinbar zeitverlangsamten Welt. Verlangsamung bis zum völligen Stillstand.
Zu einem Gefühl gewordene absolute Ruhe
Diesen besonderen Augenblick des Inne-Haltens und der Ruhe habe ich mir als eine Erinnerung bewahrt. Es bedurfte an jenem Messetag auch gar keiner weiteren Erläuterungen dazu, kein Gespräch. Nur die Begegnung mit einer Arbeit und ihre unmittelbare Wirkung auf mich. Und dieses Gefühl des im Wortsinn Berührt-Seins ist mir immer noch präsent und spürbar. Tatsächlich ist es dieser eine Augenblick, der sehr viel stärker in meiner Erinnerung geblieben ist als die vielen flüchtigen Eindrücke aus einem doch arg reizüberfluteten Messetag mit seinen vielen bunten, flackernden Momenten.
Dann, einige Wochen später, an einem Abend kurz vor Weihnachten, kommen die Objekte von Ursula Ott unversehens wieder in meinen Blick. Eine kleine Ausstellung im Alten Küsterhaus in Meerbusch, gleich in der Nachbarschaft. „Hohes Licht“. Ursula Otts gläserne Objekte glitzern und schimmern bei künstlichem Licht im Dunkel des Abends. Einige ihrer Arbeiten scheinen – ungeachtet ihrer spiegelglatten, völlig planen Oberfläche – eine erhabene Struktur zu haben, mit Hügeln und Tälern, fast wie Landschaften auf einem fernen Planeten. So, wie wir dies von Bildern aus dem Weltall kennen. Das ist ein ausgesprochen schöner Anblick. Es wirkt fast ein wenig festlich.
Aber diese, mit künstlichem Licht inszenierte Schönheit zeigt tatsächlich wiederum nur eine weitere Facette der Licht Kunst von Ursula Ott. Und die abendliche Illuminierung lässt ihre Arbeiten wieder ganz anders wirken als an einem novembergrauen Tag und bei Kunstlicht auf der Messe.
In einem ruhigen Augenblick komme ich mit der Künstlerin ins Gespräch. Ich freue mich. „Schauen Sie sich doch meine Arbeiten einfach einmal bei natürlichem Tageslicht an, am besten bei Sonnenlicht“, meint Ursula Ott, und lädt mich in ihr Atelier ein. Wie sehen ihre Objekte wohl bei Sonnenschein aus? Ich bin gespannt auf eine ganz besondere Begegnung.
Nicht im Scheinwerfer Licht
Die eigentümliche Magie, die die Arbeiten von Ursula Ott verströmen, ist tatsächlich wirkmächtiger als eine vielleicht weniger vorteilhafte Messehängung oder künstliche Beleuchtung umgekehrt von Nachteil sein könnte. Ursula Otts Objekte brauchen sicher ihren Raum, in den sie sich ausdehnen können. Aber sie brauchen keine Inszenierung, keine Lichtdramaturgie, mit Spots, LEDs oder kleinen Scheinwerfern. Obwohl das durchaus verführerisch sein könnte, vielleicht gerade bei ihren Objekten, die glänzen wie flüssiges Gold oder schimmerndes Silber.
Aber darum geht es bei Ursula Ott überhaupt nicht.
Es geht gerade nicht um eine oberflächliche Dekoration, wenngleich ihre Objekte sich durchaus auch mit Anmut und Eleganz zum Ausdruck bringen. Sie sind einfach schön. Und das ist faszinierend. Unbestritten. Aber sie brauchen keine Show. Kein Kunstlicht, und keine ausgefeilten Lichttechniken. Ganz im Gegenteil.
Der Nachmittag für meinen Atelierbesuch in Düsseldorf Oberbilk ist tatsächlich perfekt: Mitte Januar, Wintersonne. Strahlend blauer Himmel, helles Licht.
Der hohe, luftige Atelier Raum von Ursula Ott ist lichtdurchflutet, hat viel natürliches Licht durch das gläserne Tor von der Seite und aus großen Fenstern, die – wie ein Lichtband – direkt unterhalb der Decke liegen. Viel Farbe gibt es nicht. Selbst der Tisch an der Seite scheint zu schweben, er ist aus Glas. Ganz leicht. Die Wände sind weiß, ganz neutral.
Ursula Ott hat drei große Arbeiten für mich an die Wände gehangen.
Wir trinken weißen Tee und betrachten in aller Ruhe drei flache Scheiben aus optischem Glas. Ganz glatt. Die eine scheint milchig weiß, mit einem leicht bläulichen Unterton. Die andere zart grau, mit einem rosigen Unterton, ein Hauch Apricot vielleicht, etwas wärmer. Auf der gegenüberliegenden Seite hängt eine blaugraue Scheibe, wie die Oberfläche eines scheinbar unbewegten Sees im Licht der Morgendämmerung, kälter, fast ein wenig metallisch. So schien es mir auf den ersten Eindruck.
Was sich nicht beschreiben lässt
Wie unzulänglich und lückenhaft jegliche Versuche einer Farbbeschreibung sind, das stelle ich rasch fest, als wir die Scheiben einfach nur bei wechselndem Licht beobachten. Mit jeder Wolke, die sich vor die Sonne schiebt, mit dem Licht, das mit dem Sonnenstand wechselt, wandeln sich die Arbeiten. Sie wandeln sich ohne Unterlass, mit dem Licht im umgebenden Raum. Werden dunkler, „kälter“, oder umgekehrt wieder „wärmer“, sie zeigen schimmernde Einsprengsel oder farbige Schlieren. Und ebenso plötzlich, wie sie sich zeigen, verschwinden sie auch wieder, um sich dann ebenso unvermittelt in anderer Gestalt und anderer Farbigkeit, als eine andere sichtbare Erscheinung, im nächsten Augenblick wieder auf zu tauchen.
Eine „Eigenfarbe“ haben Ursula Otts Objekte nicht, zumindest nicht so, dass ich sie beschreiben und im Wortsinn „fassen“ könnte. Ganz im Gegenteil, sie entziehen sich jeglicher Festlegung, bleiben tatsächlich „für sich“, wandeln sich kontinuierlich mit dem umgebenden Licht. Absichtslos, meditativ, fließend, transzendent.
Wir sprechen über das Momenthafte, das fokussierte und bewusste „Im-Jetzt-Sein“, das Los-lassen, und kommen auf den Buddhismus. Ursula Ott ist Buddhistin, und ihre Kunst reflektiert sicher auch diesen Aspekt ihrer Persönlichkeit und ihrer Haltung zur Welt, ohne dies allerdings in den Vordergrund zu stellen. Ihre persönliche Wahrnehmung, ihre Weltsicht und Welterfahrung finden selbstredend ihren Ausdruck auch in ihrer Kunst. Ihre Arbeiten wollen sich zeigen, und sie sollen „in die Welt“. Wie könnte es auch anders sein. Denn Ursula Ott ist schließlich die Schöpferin ihrer Objekte, wenngleich Autorin und Werk eben nicht ein und dasselbe sind.
Ursula Ott hat ein sehr sensibles Gespür dafür, was eine exzellente von einer sehr guten Arbeit unterscheidet. Die exzellenten Arbeiten sind oft die „hintergründigeren“, die ihre Schönheit erst nach und nach offenbaren, die man sorgfältig erkunden muss. Schiere Effekthascherei liegt Ursula Ott überhaupt nicht. Ihre stille Art der Kunst hat sie sich tatsächlich auf einem langen Weg zu eigen gemacht. Sie hat gefilmt, fotografiert, gemalt, gezeichnet, Keramik gemacht. Kam über Hamburg nach Düsseldorf an die Kunstakademie, und war Meisterschülerin bei Gerhard Richter. Ein wirklich großer Name, und sicher hier und da auch „Türöffner“. Was sie von ihm persönlich gelernt hat? „Nichts. Zumindest nichts für meine Kunst“, meint sie spontan mit einem Lächeln. Und dann setzt sie nach. „Nein, stimmt nicht ganz. Nämlich, dass das Wichtigste sei, unabdingbar und kompromisslos auf die eigene Qualität zu achten. Sonst macht das nämlich keiner“. Und Ursula Ott macht das sehr rigoros. Was nichts ist, kommt wieder in die Schmelze, auch wenn es vielleicht mit vordergründigem Glitzer lockt. Nur schön, das reicht eben nicht.
Was sich beschreiben ließe
Beschreiben ließen sich allenthalben die Form und die Maße ihrer Objekte. Oft sind es Kreise, aber auch ovale Formen, die an ein Gesicht erinnern, oder seltsam amorphe, organisch wirkende Gebilde, die ein wenig auseinander zu fließen scheinen.
Und das Material? Glas. Um genau zu sein, Glasguss oder Fusingglas mit Silberverspiegelung. Interferenzoptisch beschichtetes Spezialglas. Silbergelbbeize auf Floatglas. Aber diese technisch präzisen Materialangaben beschreiben jedoch überhaupt nicht, was wir wahrnehmen. Sie vermögen allenthalben, dem materialkundigen Kenner die Physik der Arbeiten zu vermitteln. Und lässt erahnen, wieviel optisches Fachwissen, Erfahrung und Präzision vonnöten ist, um in unzähligen aufwändigen Verarbeitungsschritten zu eben dem Medium zu gelangen, dass Ursula Ott für ihre Arbeiten braucht. Sie arbeitet schon seit vielen Jahren mit hochspezialisierten Glaswerkstätten und erfahrenen Manufakturen zusammen. High-Tech Ingenieurskunst aus dem Schwäbischen und ein wenig Alchemie, so könnte man vermuten, wenn man die Ergebnisse betrachtet.
Ursula Ott faszinieren übrigens auch die klassischen Waldglashütten, nahe bei den alten Köhlereien. Fast archaisch. Das Feuer und die Hitze, der aufwändige, traditionelle handwerkliche Prozess, der stets unverwechselbare Unikate hervorbringt. Denn jeder einzelne Glasbläser arbeitet anders. Sie liebt Glas als Werkstoff und Medium, nicht zuletzt aber auch als eine Herausforderung. Denn die Verarbeitung erfordert viel Geschick, und es verzeiht keine Fehler. Was nicht gut ist, wird wieder eingeschmolzen, genau wie bei ihr.
Und die Titel der Arbeiten? Ja, Ursula Otts Objekte haben assoziative Namen, teils sogar beschreibend, zumindest für den ersten Eindruck. Große Sonne, SunMoonMoon, Umoon, Segel oder Gesicht. Isis und Rah. Oder Loh, Tara, Hava, Aar, Ima. Als bedeutungstragendes Morphem. Sun, Moon. Mythische ägyptische Götter. Aber auch rein lautliche Einheiten, als eine klangvolle Silbe, die durchaus mit Bedeutung gefüllt werden könnte, aber nicht zwingend angefüllt werden muss.
Kein Bild des Bildlosen
Ursula Ott ästhetisiert das Licht an sich. Das spiegelnde Material, mit dem sie arbeitet, ist zwar das gläserne Medium, scheint aber zwischen unzähligen Wahrnehmungs- und Reflexionsmöglichkeiten hin und her zu schwingen. Körperlos. Es ist – im Wortsinn – ganz wie das Abbild in einem Spiegel, einfach nicht zu fassen. Und das erinnert wiederum tatsächlich sehr an einen ganz klassischen Spiegel. Der alles als ein stets wandelbares Abbild zeigt, außer sich selbst. Der anscheinend rechts und links, oder aber vorne und hinten vertauscht. Seitenverkehrt in alle Richtungen. Ein vermeintliches Paradoxon, über das sich trefflich philosophieren lässt. Tatsächlich „vertauscht“ ein Spiegel gar nichts, sondern er reflektiert nur. Und das stets als reine Gegenwart. Nur dann gegenwärtig, wenn sein Betrachter gegenwärtig ist.
Das ist bei Ursula Otts Kunst nicht anders. Spiegeln kann man sich in ihrer Kunst allerdings nicht. Allenfalls als eine fragmentierte Ahnung. Dass Ursula Ott ihre Arbeiten auch gern ein wenig höher aufhängt als die gängige Augenhöhe, ist da nur konsequent. Ein kleines Detail, vielleicht gewissermaßen als ein Augenzwinkern in Richtung manch einer kleinen menschlichen Eitelkeit. Ein Detail, das mir übrigens ganz außerordentlich gefällt.
Denn anthropomorphisieren lassen sich die Objekte von Ursula Ott keinesfalls. Sie bleiben für sich. Es geht auch nicht darum, gar sich selbst zu erkennen. Nur darum, seiner Wahrnehmung in aller Ruhe „ge-wahr“ zu werden. Den Augen-Sinn zu schärfen, auf eine meditative, ruhige Art und Weise.
Es ist übrigens kaum möglich, ein Bild des Bildlosen mit nach Hause zu nehmen. Das Momenthafte der Farberscheinungen, mit denen das Licht in Ursula Otts Arbeiten erlebbar wird, lässt sich kaum bannen, nicht als Foto, nicht als Video. Denn es lebt aus dem Augenblick und der Stimmung, mit der das umgebende Licht den Raum erfüllt und sich in der Arbeit reflektiert. Als körperloses Schimmern und Flackern, als Flirren, als flüchtige Schliere.
Zum Abschluss und als eine schöne Erinnerung an diesen Nachmittag schenkt Ursula Ott mir ihren signierten Katalog. Mit vielen Abbildungen und einem interessanten Interview und Begleittext. Ein elegantes Buch in weißem Leinen. Mit einem weißen Oval auf dem Titel. Wie ein Gesicht. Und wir sprechen darüber, dass in der Etymologie von „Gesicht“ oder „Antlitz“ auch das „Sehen“ steckt. Wie übrigens auch im „Spiegel“, aus dem lateinischen „spectaculum“. Ursula Ott will mit ihren Arbeiten in die Welt. Sie müssen gezeigt werden, sollen ins Licht. Und das tatsächlich im Wortsinn. Ich wünsche vielen Menschen die Gelegenheit, ihre magischen Objekte zu sehen. Ich bin sicher, manch einer wird tief berührt. Und erkennt etwas.