Keramik ist Handwerk. Und kann große Kunst sein.
Das Töpfern ist auf der einen Seite eine uralte, weltweit verbreitete Kulturtechnik, und kunstfertig ist das Arbeiten mit Ton und Lehm allemal. Keramik zeigt in der Ausführung tatsächlich keine „Gnade“. Denn sie erfordert großes handwerkliches und technisches Geschick. Und was nicht präzise gearbeitet ist, verabschiedet sich spätestens im Brennofen.Allerdings hatte die Keramik eine lange Zeit schwer, sich tatsächlich als hohe Kunst und Ausdrucksform im „großen“ Kunstbetrieb zu behaupten. „Töpfern“, das stand wohl Jahrzehnte lang für Latzhosen und hippie-eske Selbsterfahrung. Aber, genauso wie die Birkenstock Sandale es in die Höhen der Street Wear und eine Zeitlang gar auf den Laufsteg geschafft, ist Keramik als etablierte Kunstform durchaus wieder da. Selbst die großen Galerien zeigen wieder zeitgenössische Keramik: Edmund de Waal, Rachel Kneebone, Thomas Schütte, Betty Woodman, Lucio Fontana oder Rosemarie Trockel, um mal beispielhaft (und dabei äußerst lückenhaft) einige der großen Namen anzuführen. Und zwar jenseits all’ der Übertöpfe, Schalen und Vasen, die an so manchem haptischen Selbstverwirklichungswochenende und in ausgebuchten Töpferkursen entstanden sind. Wogegen im übrigen auch gar nichts auszusetzen ist. Dies sei an dieser Stelle auch ausdrücklich bemerkt.
Eine Künstlerin, deren keramische Objekte weit jenseits von dröger Gebrauchskunst und Selbstfindung angesiedelt sind, habe ich in Östersund / Schweden getroffen. Linda Svedberg macht Keramik, und zwar richtig gut. Genau das Richtige für diesen Blog.Von meinem wirklich inspirierenden Gespräch mit Linda Svedberg und einem spannenden Atelierbesuch möchte ich hier erzählen.
Die Teekanne, die gar keinen Tee mag
Die schwedische Künstlerin Linda Svedberg macht Keramik, die definitiv über den irdenen Gebrauchsgegenstand hinausweist. Sie erinnert sich an ihre erste Begegnung mit dem Material. Ton. Irgendwie suspekt. Und vermutlich eher eine Freizeitbeschäftigung für ältere Frauen. Und dann…kam alles ganz anders. Aus ihrem Material erschafft sie erstaunliche Gebilde: Kannen, Vasen, Schalen und Töpfe, alltäglich und dekorativ, so scheint es….nur auf den ersten Blick. Ihre Objekte wirken bisweilen gar subversiv….so ganz und gar nicht zu gebrauchen.
Fangen wir mal fast konventionell mit beispielhaften Objeken aus ihrer Gruppe der „Haushaltsgegenstände“ an: Etwa mit einer fast über-„lebensgroßen“ Kaffeekanne in Form einer Glucke, deren Hals….aus ineinander gestapelten, kleinen Tassen besteht, aus denen man vielleicht Tee oder Kaffee trinken könnte. Allerdings erst, wenn man man den Hals dieser riesenhafte Henne dazu erst de-konstruiert hat. Oder das Teekannen Triumvirat, das Linda Svedberg „Karawane“ genannt hat. Tatsächlich erinnern die drei Gebilde ein wenig an traditionelle, hohe arabische Teekannen. „The Queen“, „The City“ and „The Leader“, „Die Königin“, „Die Stadt“ und „Der Anführer“. Die Namen sind auch gar nicht so wichtig. „Wenn die Namen Dich irgendwie stören, vergiß sie einfach.“, sagt sie.
Und, ja, man kann sich vorstellen, wie sie sich auf ihren vielen winzigen raupenartigen Füßchen, ob ihrer Höhe schwankend, durch die Wüste bewegen, sehr langsame, wie gravitätische Tiere mit langen, schmalen, turmartigen Hälsen, die in einem Fall gar zum Ausguck werden und eine Figur tragen, die an einen Jockey erinnert. Ob man Tee daraus trinken kann? Unwichtig. Wichtiger ist vielmehr, dass man sich – vielleicht sogar bei einer Tasse Tee – ausmalen kann, wohin diese Karawane wohl zieht.
Mit „unterbewußten Händen“ gemacht
„Made by subsconscious hands.“, „Mit unterbewußten Händen gemacht.“ So nennt Linda Svedberg eine ganze Reihe von Objekten, die mit aller Radikalität einfach nur „sind“. Sie genügen sich selbst. Ohne jeden Gebrauchswert entziehen sie sich einfach einem Kriterium, das ganz selbstverständlich an Keramik als Alltagsgegenstand gestellt wird. Funktionalität steht für Linda Svedberg keinesfalls im Fokus. Ihre Arbeiten sind im Wortsinn „eigenwillig“. „Wie Pferde oder Hunde, denen Du einfach keine Kunststücke beibringen kannst. Aber genau das sind dann ausgerechnet die, die Du von allen am liebsten hast, weil sie Dich überraschen.“ Etwa als hohe turmartige, gemauert wirkende Häuser, mit unzähligen Fenstern, die aus Kürbissen heraus zu wachsen scheinen. Marionetten an einem Kleiderbügel, oder vasenartige Gebilde, die ganz weich und organisch, fast ein wenig plump wirken, einfach nur in einer fließenden Bewegung innehalten. In dieser Bewegung haben sie quasi „ihren eigenen Kopf“, und scheinen sich dem Versuch, Blumen in sie zu stellen, gar zu entziehen. Blumen? Mögen sie gar nicht. Und wenn man sie ganz dekorativ (!) in ein Regal stellen wollte? Dann bräuchten sie definitiv das ganze Regal, und fegten die anderen Sachen einfach vom Platz. Die künstlerische Welt der Linda Svedberg ist defintiv animistisch. Ihre Arbeiten führen ein, bisweilen höchst eigensinniges, Eigenleben, wirken gar, als würden sie sich bewusst jeder Zuschreibung entziehen.
Hat Ton eine Seele? Für Linda Svedberg bestimmt.
Linda Svedberg erforscht ihr Material, sie arbeitet assoziativ, und gleichzeitig aus einem starken Formwillen heraus. In ihrem Kopf ist die Arbeit immer schon fertig, sobald sie Idee und Vorstellung geworden ist. Es muss ihr dann lediglich gelingen, sie umzusetzen. Ganz einfach? Nicht immer.
Linda Svedberg bescheibt den Umgang mit ihrem Werkstoff tatsächlich wie die Liebe zu einem Menschen, und dieser andere hat tatsächlich auch so etwas wie „einen eigenen Kopf“. Linda Svedberg betrachtet sie die Welt, die sie umgibt, quasi mit den Augen ihres Materials. Und geradezu alles kann Inspiration sein. „Wie würde dieses Haus wohl aussehen, wenn es aus Ton wäre. Dieses Schmuckstück oder ein Baumstumpf im Wald. Und die Form dieser Nase da? Was würde Ton wohl daraus machen?“
Farbe spielt eine deutlich nachrangige Rolle. Ihre Arbeiten ist oft fast weiss bis beige oder grau. Eine dunkle Lasur, die in Ritzen oder Muster lauft, betont die Konturen. Linda Svedberg vertraut auf das Licht, mit dem sich ihre Arbeiten im Laufe des Tages verwandeln, und das die skulpturale Wirkung ihrer Arbeiten unterstützt. Glänzende Lasuren würden zuviel Aufmerksamkeit für sich beanspruchen, und von der eigentlichen Gestalt ablenken. Ihre Objekte offenbaren ihr Wesen, und damit ihre Schönheit, im Ertasten. Die allererste Arbeit, die sie verkauft hat, hat übrigens ein blinder Mensch gekauft.
„Das Gefühl ist im Prozess.“
Linda Svedberg schätzt an ihrer Arbeit ganz besonders den eigentlichen Prozess, in dem die Objekte ihre finale Form erhalten. Die besondere Haptik des Materials, und das Bewusstsein: „Du kannst einfach alles machen.“ Wenn es ihr gelingt, diese Freiheit in ihrer Arbeit erlebbar werden zu lassen, ist sie gut. Eine Vase, die sich mehr als Teekanne „fühlt“, und genau in diesem besonderen transzendenten Moment ihrer eigentlichen Umwandlung festgehalten wird, zum Beispiel, das ist so eine Idee von ihr.Bei all dieser Freiheit des Materials gibt es eben aber auch diesen Moment, an dem „nichts mehr geht“, an dem das geformte Material zu sehr getrocknet ist und unnachgiebig bleibt, gegenüber jedem Versuch, doch noch mal etwas zu ändern. Es ist dann einfach fertig. Und da ist das Material bei all’ seiner nachgiebigen Weichheit dann ganz streng. Mit der Fertigstellung geht die besondere Haptik, das Amorphe und Flexible ihres Werkstoffs verloren, kann sich aber im Ausdruck erhalten. Wie etwa in den Skulpturen von Anton Alvarez, einem zeitgenössischen schwedisch-chilenischen Künstler, dessen Formarbeiten Linda Svedberg inspirieren.„Genau das ist das Tragische mit Keramik. Du kannst mit dem fertigen Stück einfach nicht vermitteln, was Ton eigentlich ist. Das Besondere liegt im Prozess, es ist das Gefühl, während Du damit arbeitest.“Dieser Prozess ist für Linda Svedberg noch lange nicht zu Ende. Und der Horizont, den sie für den Umgang mit „ihrem“ Material im Blick hat, erweitert sich. Vom Objekt bis zur raumgreifenden Installation. „Ich will der Welt nichts verkünden. Es ist nur in mir drin, und muss dann einfach raus.“Da kommt noch einiges. Ich bin gespannt und freue mich darauf.
Viele Grüße aus dem Meererbusch
Michaela
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